Was heisst CO2-neutral?
Die Schweiz soll – je nach Partei – bis 2025, 2030 oder 2050 CO2-neutral werden, also kein CO2 aus fossilen Quellen mehr emittieren. Wie macht man das? Der Energieclub Schweiz hat nachgerechnet.
Roger Nordmann, der Fraktionschef der SP will die CO2-Quellen von Verkehr und Heizungen mit Strom aus Photovoltaik (PV) ersetzen. Das wird schwierig, teuer und es genügt nicht! Warum? Um die Frage zu beantworten, muss man wissen, woher das CO2 kommt. Die Antwort findet man in der Gesamtenergiestatistik des Bundesamts für Energie (BFE). Sie zeigt, dass das CO2 eben nicht nur von Heizungen und dem Verkehr stammt.
Gemäss BFE haben wir im Mittel folgende Mengen in den verschiedenen Sektoren in den Jahren 2017 und 2018 verbrannt haben (die Angaben in Terajoule (TJ) sind einheitlich in Terawattstunden (TWh = Milliarden kWh) umgerechnet):
Haushalte 33,3 TWh (Heizöl 20 TWh; Gas 13,3 TWh)
Industrie 15,8 TWh (Öl 3,1 TWh; 12,7 TWh)
Dienstleistungen 15,8 TWh (Heizöl 8,6 TWh; Gas 7,2 TWh)
Verkehr 81,4 TWh (Benzin und Diesel 59,7 TWh; Flugbenzin 21,7 TWh)
Total 146,3 TWh
In erster Näherung könnte man die Zahlen von Roger Nordmann einfach hochrechnen und man käme auf eine benötigte installierte Photovoltaik-Leistung von 162 Gigawatt (GW = Million Kilowatt).
Allerdings ist es komplizierter: Zum Beispiel kann man das Flugbenzin nicht durch Photovoltaik ersetzen, wie Bertrand Piccard's «Solarimpulse» gezeigt hat. Die einzelnen Posten müssen unterschiedlich berechnet werden.
Eine differenzierte Schätzung ergibt ein anderes Bild:
Haushalte
Man kann davon ausgehen, dass die gesamte Menge Brennstoffe zum Heizen verwendet wird. Technisch ist es möglich, elektrisch zu heizen, vorwiegend mittels Wärmepumpen. Ausserdem kann der Heizbedarf durch bessere Dämmung vermindert werden. Annahmen: Abnahme des Heizbedarfs auf die Hälfte und Effizienz der Wärmepumpen von 2. Gute Wärmepumpen leisten 3, aber Erdsonden sind nicht überall möglich und Luft/Wasser-Wärmepumpen sind weniger effizient. Daraus folgt:
Strombedarf zum Heizen: 8,3 TWh
Industrie
Die Industrie benötigt Prozesswärme. Dazu eignet sich Gas besonders gut. Ohne Kenntnis der einzelnen Prozesse kann man nicht sagen, in welchen Fällen Gas durch Strom ersetzt werden kann. Bestimmt nicht in allen Fällen, zum Beispiel kaum für das Ausglühen von Schweissnähten.
Annahmen: Das Öl wird für Raumwärme gebraucht und diese kann nicht durch Dämmung halbiert werden, aber Wärmepumpen können den Bedarf halbieren; das Gas kann zur Hälfte durch Strom ersetzt werden und die andere Hälfte benötigt synthetisches Gas: Wasserstoff oder Methan.
Strombedarf zum Heizen: 1,6 TWh; Strombedarf für Prozesswärme: 6,4 TWh; Strombedarf für Syngas: 9,6 TWh
Dienstleistungen
Wozu brauchen Banken, Schulen und Universitäten, Spitäler, Verwaltungen, die Polizei und die Armee Gas und Öl? Wahrscheinlich zum grössten Teil zum Heizen und zu einem kleineren Teil als Treibstoff. Ähnlich wie in der Industrie ist die Situation mit den Heizungen nicht mit den privaten Haushalten vergleichbar. Die Gebäude sind in der Regel gross und mehrheitlich bereits gut gedämmt. Wärmepumpen benötigen mehr Umgebungswärme als für grosse Gebäude zur Verfügung steht. Annahme: Die Hälfte des Wärmebedarfs lässt sich durch Wärmepumpen mit einer Effizienz von 2 ersetzen, die andere Hälfte und der Bedarf für Antriebe benötigt synthetisches Gas und synthetische Treibstoffe (ein Elektropanzer ist schwer vorstellbar!)
Strombedarf für Wärmepumpen: 3,5 TWh Strombedarf für Syngas: 10,5 TWh Strombedarf für Synfuel: 5,8 TWh
Verkehr
Wir unterscheiden Eisenbahn, Personen-, Güter- und Flugverkehr. Der Eisenbahnverkehr ist in der Schweiz vollständig elektrifiziert. Der Personenverkehr kann ebenfalls vollständig elektrifiziert werden. Denkbar ist ein Pfad über Syngas (wohl H2, Wasserstoff), aber das wäre weniger effizient. Elektromotoren sind 3 bis 4 mal effizienter als Verbrennungsmotoren. Zusammen mit den Lade- und Übertragungsverlusten kann mit einer Energieeinsparung von 2/3 gerechnet werden, wenn der Strom nicht aus fossil betriebenen Kraftwerken stammt. Auch der Schwerverkehr kann grundsätzlich elektrifiziert werden. Er eignet sich dazu sogar besser als der Personenverkehr, da die schwere Batterie einen kleineren Anteil der Nutzlast ausmacht als bei PKWs.
Strombedarf für Strassenverkehr: 20 TWh
Strombedarf für Flugverkehr: 63 TWh
Der Flugverkehr ist vollständig auf synthetische Treibstoffe angewiesen. Zwar gibt es Projekte für elektrisch betriebene Klein- und Kurzstreckenflugzeuge, aber ihr Verbrauch fällt vorläufig nicht ins Gewicht.
Damit schätzen wir einen zusätzlichen Bedarf an elektrischer Energie von rund 130 TWh. Erstaunlich ist die Tatsache, dass der Flugverkehr davon fast die Hälfte verschlingt. Das ist darauf zurückzuführen, dass bei den meisten Substitutionen die Effizienz verbessert wird, aber die Herstellung synthetischer Treibstoffe äusserst ineffizient ist. Der absehbare Wegfall der – weitgehend CO2-freien – Kernenergie, hat einen weiteren Bedarf von 24 TWh zur Folge. Das heisst, dass zur vollständigen Dekarbonisierung der schweizerischen Energieversorgung ohne Kernenergie aber mittels solarer Elektrizität eine jährliche Produktion von 154 TWh Solarstrom benötigt würde.
Synthetische Treibstoffe mit elektrischer Energie als Energiequelle werden in mehreren Schritten hergestellt. Der erste Schritt ist die Elektrolyse von Wasser. Dabei entsteht Wasserstoff. Der Wirkungsgrad der Elektrolyse kann bis zu 80% betragen. Bei der Kompression und Lagerung gehen weitere 5% verloren (Annahme). Damit ergibt sich ein Gesamtwirkungsgrad von 75%. In einem zweiten Schritt kann der Wasserstoff in einem nach seinem Erfinder Sabatier benannten Prozess in Methan verwandelt werden. Dieser Prozess hat eine maximale Effizienz von 60%. Der Gesamtwirkungsgrad für die Herstellung von Methan beträgt somit 45%. In einem dritten Schritt kann das Methan in einem modifizierten Fischer-Tropsch-Verfahren zu Benzin oder Kerosin verflüssigt werden. Der Wirkungsgrad dieses Prozesses liegt bei höchstens 75%. Damit ergibt sich für die Herstellung von synthetischem Treibstoff ein Gesamtwirkungsgrad von 33%.
Man kann erwarten, dass Synfuel und Syngas, wenn photovoltaisch erzeugt, nicht in der Schweiz hergestellt würden, sondern dass sich dafür eine neue Industrie in gut besonnten Lagen der Welt entwickeln könnte. Voraussetzung ist natürlich, dass sich das Verfahren wirtschaftlich rechnet. Damit reduziert sich der Bedarf an Solarstrom in der Schweiz um knapp 80 TWh auf 74 TWh.
Schlussfolgerungen
Der Plan von Roger Nordmann, 50 GW Solarleistung zu installieren, geht nicht auf. Um jährlich 74 TWh zu erzeugen wird eine Leistung von 82 GW benötigt. Das heisst 460 Quadratkilometer Solarpanel. Das ist zweimal die Fläche des Kantons Zug. Geschätzte Kosten: 230 Milliarden Franken. Bei diesen Kosten ist die unerlässliche Kurzzeitspeicherung – Stunden bis Tage – nicht berücksichtigt, geschweige denn die saisonale Speicherung, die in diesem Ausmass unmöglich ist.