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Von einer sicheren, eigenständigen Stromversorgung kann nicht die Rede sein

Gastkommentar von Eduard Kiener in der NZZ vom 04.03.2025

Der aktuelle Zubau der Erneuerbaren ist zu gering. Der notwendige Systemausbau – Speicherung, Netz und Netzregelung – ist weder konzipiert noch entschlossen begonnen. Die Politik muss wieder ernsthaft über neue Kernkraftwerke diskutieren.

Unter Energiewende wird gemeinhin der Ersatz der fossilen Energien und der Kernenergie durch erneuerbare Energien verstanden. Auch mit dem im Juni 2024 vom Stimmvolk angenommenen Stromgesetz wird eine sichere Stromversorgung allein mit erneuerbaren Energien angestrebt.

Die wichtigsten Zielsetzungen der Energiepolitik sind heute Versorgungssicherheit und Netto-Null, also die Reduktion des Treibhausgasausstosses auf null. Deshalb ist es nicht sinnvoll, neben dem Ausstieg aus den fossilen Energien von vornherein auch jenen aus der Kernenergie als Ziel der Energiewende zu deklarieren. Zuerst müsste gezeigt werden, ob die erhoffte rein erneuerbare Stromversorgung bis zum Zieltermin 2050 technisch-wirtschaftlich überhaupt realisierbar ist. Die bisherige Entwicklung spricht eine andere Sprache.

Dominierende Photovoltaik

Um den steigenden Stromverbrauch zu decken und die Kernenergie zu ersetzen, stehen grundsätzlich nur die Wasserkraft und die neuen Erneuerbaren Photovoltaik, Wind, Biomasse und vielleicht auch die Geothermie zur Verfügung. Die Wasserkraft ist weitgehend ausgebaut und kann nur wenig zusätzlichen Strom produzieren, sie wird aber als Rückgrat der immer labileren Stromversorgung noch wichtiger.

Der Ausbau der erneuerbaren Stromerzeugung wird potenzialbedingt weitgehend durch Photovoltaik erfolgen. Das hat gewichtige Auswirkungen auf das gesamte Stromsystem. Der Photovoltaikstrom fällt fluktuierend an, nur zu etwa 30 Prozent im Winter, bei bedecktem Himmel wird wenig und nachts nichts produziert. Deshalb wird Saison- und Kurzzeitspeicherung erforderlich, das Netz und die Netzregelung müssen verstärkt werden. Dieser Systemausbau ist ebenso nötig wie die Produktionserhöhung, er kostet und braucht Zeit.

Das Stromgesetz fordert für 2050 eine Stromerzeugung aus neuen Erneuerbaren von 45 TWh. Davon müssten etwa 40 TWh aus Photovoltaik stammen, wofür über 200 Quadratkilometer Panelfläche erforderlich sind. Und vom Wind werden in den Energieperspektiven 2050+ 4,3 TWh erwartet, was etwa 500 bis 600 Windanlagen von je 4 MW bedingt. Damit würde zur Jahrhundertmitte aber erst eine ausgeglichene Jahresbilanz von Erzeugung und Verbrauch erreicht. Im Winter ergäbe sich, selbst wenn die sechzehn im Gesetz genannten Wasserkraftprojekte realisiert würden, eine hohe Winter-Importabhängigkeit von 7 TWh und im Gegenzug ein entsprechender, schwer zu verwertender Sommerüberschuss.

Es entsteht auch ein Leistungsproblem. Die zu installierende Leistung der Photovoltaik wäre 2050 etwa 40 GW, dazu kommt jene von Laufkraftwerken und Wind. Auch wenn nicht alle Anlagen gleichzeitig mit Vollleistung produzieren, müsste doch mit einer weit über der Verbrauchslast liegenden Leistung gerechnet werden, die vom Netz nicht absorbiert werden könnte. Die drohenden Leistungsüberschüsse könnten durch Flexibilitätsmassnahmen reduziert werden, aber im Sommer müsste temporär bis 20 GW Photovoltaikerzeugung durch Abregeln verhindert werden.Der derzeitige Zubau der Erneuerbaren ist zu gering, um die Ziele des Stromgesetzes rechtzeitig zu erreichen. Er müsste sofort verdoppelt werden. Und der notwendige Systemausbau – Speicherung, Netz und Netzregelung – ist weder konzipiert noch ernsthaft begonnen.

Erneuerbare und Kernenergie nötig

Von sicherer eigenständiger Stromversorgung kann deshalb nicht die Rede sein. Dies verdeutlicht schon der erwähnte Winter-Importbedarf. Für eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien, die diese Bezeichnung verdient, müssten zusätzlich 7 TWh Winterstrom produziert werden, vorwiegend durch Photovoltaik. Die PV-Leistung wäre dann 63 GW, der Flächenbedarf 315 Quadratkilometer. Das ist noch unrealistischer als die Vorgaben des Stromgesetzes.

Die Politik muss dank der Blackout-Initiative wieder ernsthaft über neue Kernkraftwerke diskutieren. Im Winter 2023/24 hat die Kernenergie 39,8 Prozent des Landesverbrauchs gedeckt, die neuen Erneuerbaren brachten zusammen erst 10,2 Prozent, die Photovoltaik 4,2 Prozent. Wir sollten die Kernenergie auch künftig im bisherigen Umfang von 3 GW Bandenergie nutzen. Dann wären für eine sichere Stromversorgung nur 135 Quadratkilometer Photovoltaikfläche nötig, die sommerlichen Strom- und Leistungsüberschüsse würden deutlich geringer und der Systemausbau-Bedarf moderater. Zudem sind die Gestehungskosten und der Treibhausgasausstoss der Kernenergie tiefer als jene der Photovoltaik. Mit Ersatz-Kernkraftwerken werden eine sichere Stromversorgung und der Ausstieg aus den Fossilen eher machbar und auch wirtschaftlicher und klimafreundlicher.

Autor: Eduard Kiener; war von 1977 bis 2001 Direktor des Bundesamts für Energie.