Globale Renaissance der Kernkraft
Die Internationale Energieagentur (IEA), eine Organisation der OECD, sieht eine steigende Nachfrage nach Strom und daher eine weltweite Renaissance für die Kernkraft. "Wir erwarten für 2025 einen historischen Höchststand beim Atomstrom", sagte IEA-Chef Fatih Birol in Paris, wo er den Sonderbericht "The Path to a New Era for Nuclear Energy" am 16. Januar 2025 vorgestellt hat.
Niemals seit der Ölkrise in den 1970er-Jahren war das Interesse an der Atomenergie so gross, heisst es im Bericht. Mehr als 40 Länder unterstützen einen Aus- oder Neubau von Kernkraftwerken. Zu erwarten ist eine Verdopplung der Kapazitäten bis 2050. Weltweit sind 70’000 MW im Bau, eine der höchsten Zubauzahlen der letzten 30 Jahre. Das entspricht 70 Kernkraftwerken der Grösse von Gösgen.
Zurzeit sind weltweit 420 Reaktoren am Netz. Die meisten davon befinden sich laut dem Bericht in Ländern, die schon vor Jahrzehnten KKW gebaut hatten. In der Zwischenzeit veränderte sich jedoch die globale Landkarte der Kernenergie. Mehr als die Hälfte der neuen Kernkraftwerke wurden in China gebaut. Das Land ist auf dem besten Weg, die USA und Europa bei der installierten Kernkraftleistung bis 2030 zu überholen. Europa – insbesondere Deutschland – hat der Kernkraft den Stecker gezogen. In den 1990er-Jahren war Europa mit einem Anteil von 35 Prozent Atomstrom noch führend gewesen; heute beträgt der Anteil weniger als 25 Prozent. Die IEA gründet ihre Erwartungen an eine Renaissance der Kernkraft auf von ihr erhobenen Daten zum steigenden Strombedarf. Sowohl klassische Industriezweige als auch neue Bereiche wie zum Beispiel die Produktion und der Betrieb von Elektroautos sowie Klimaanlagen benötigen viel Strom. Auch die fortschreitende Digitalisierung mit ihren riesigen Datenzentren vergrössert den Hunger nach Strom.
Deshalb sind kleine modulare Reaktoren (SMR) gefragt, denn die Datenzentren brauchen eine unterbruchlose Stromversorgung. "Kernkraft ist eine sichere und saubere Energiequelle", sagte IEA-Chef Fatih Birol. SMRs sind zudem einfacher zu bauen als grosse Kernkraftwerke und erhalten leichter Zugang zu Kapital.
Der Bericht schlägt vor, dass die Staaten den Investoren in Kernkraftwerke bei der Erschliessung von Finanzmitteln unter die Arme greifen. Die Europäische Investitionsbank ist noch zurückhaltend, obwohl die EU-Kommission das Klimaziel für 2040 auch mit dem Bau von kleinen modularen Reaktoren (SMR) erreichen will.
Première für die Kernkraft am 21. Januar 2025 auch am WEF in Davos
Bisher wurde Greta Thunberg zweimal nach Davos eingeladen, um den Wirtschaftsführern ins Gewissen zu reden. Nun hat der Generaldirektor der IAEO (Internat. Atomenergie-Organisation) Rafael Grossi erreicht, dass ein hochkarätiges Panel über die Massnahmen diskutierte, die es braucht, damit die von der IEA und 30 Staaten geforderte Verdreifachung der Nuklearkapazität auch erreicht werden kann. Dabei ging es vor allem um eine globale Harmonisierung und Standardisierung für die Lizenzierung von neuen Reaktortypen wie SMRs und den Aufbau der Lieferketten für den Bau neuer Kernkraftwerke, was beim Bau von Olkiluoto und Flamanville fehlte und zu Kostenüberschreitungen und langen Bauzeiten führte. «Wir müssen Standards harmonisieren und den Aufbau neuer Reaktoren standardisieren, um Effizienz und Kostensenkungen zu ermöglichen», so Grossi an der Podiumsdiskussion in Davos.
Die schwedische Vizepremierministerin und Energieministerin Ebba Busch betonte, dass der steigende Energiebedarf – ausgelöst durch Elektrifizierung und Dekarbonisierung – ohne Kernenergie nicht gedeckt werden könne. Schweden plant, seine fossile Energieerzeugung vollständig durch neue nukleare und erneuerbare Energien zu ersetzen, um das Netto-Null-Ziel bis 2045 zu erreichen. Ein Schlüssel dazu ist das von Busch vorgestellte innovative Finanzierungsmodell, das staatliche Darlehen, Verträge mit garantierten Preisen und Risikoteilungsmechanismen kombiniert.
Laut Luc Rémont, CEO von Électricité de France (EDF), ist die europäische Nuklearindustrie technisch wieder in der Lage, Reaktoren in grossem Massstab zu bauen. Die Hauptaufgabe liege darin, Bauzeiten zu verkürzen und regulatorische Prozesse international zu vereinheitlichen. Ein Rückblick auf die Vergangenheit zeige, dass Frankreich in den 1970er-Jahren über 50 Reaktoren in 15 Jahren gebaut habe – ein Tempo, das nun wieder erreicht werden müsse. Der CEO der Bank of Montreal, Darryl White, hob hervor, dass das Vertrauen der globalen Kapitalmärkte entscheidend sei. Innovative Finanzierungsinstrumente wie regulierte Vermögenswerte und Verträge mit garantierten Preisen seien unerlässlich, um die benötigten Investitionen in Milliardenhöhe zu sichern.
Physik statt Politik
Die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) zeigen mit den 4 koreanischen APR1400-Reaktoren in Barakah, dass der Bau von KKW in der geplanten Zeit und innerhalb des Budgets realisierbar sind, wenn es klare Ziele und Kooperationen gibt. Trotz technischer Fortschritte bleibt die politische Unterstützung in vielen Regionen eine Herausforderung. «Wir müssen Physik und nicht Politik in den Mittelpunkt der Energiepolitik stellen», sagte Ebba Busch und forderte eine stärkere internationale Zusammenarbeit. Die IAEO hat mit ihrer «Nuclear Harmonization and Standardization Initiative (NHSI)» bereits 2024 den Grundstein für die internationale Zusammenarbeit gelegt. Das gilt es weiterzuverfolgen.
