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Fakten statt Fakes

In der Bevölkerung gab es nie eine Mehrheit für den Ausstieg. Will die Schweiz in Zukunft genügend Strom und das Klima retten, dann führt kein Weg an neuen AKW vorbei.

Von Eduard Kiener

Der Bundesrat erachtet die Atomenergie als weiterhin nötig, sie soll also eine längerfristige Stütze der Stromversorgung bleiben. Er will deshalb das Verbot neuer Atomkraftwerke (AKW) mit einem indirekten Gegenvorschlag zur Initiative «Blackout stoppen» kippen. Harsche Reaktionen der Atomenergiegegner blieben nicht aus.

So sind denn auch altbekannte Argumente wieder zu hören: Der Ausstieg aus der Atomenergie sei vom Volk erst vor sieben Jahren beschlossen worden, es brauche die gefährliche Atomenergie nicht und neue Kraftwerke kämen ohnehin zu spät, die Diskussion um diese mindere den Druck zum Ausbau der erneuerbaren Energien, und die Fotovoltaik sei längst günstiger. Zudem wolle die Stromwirtschaft gar keine neuen Atomkraftwerke, und auch die Aussage darf nicht fehlen, die Endlagerung der radioaktiven Abfälle sei nach wie vor ungelöst. Was ist von all diesen Behauptungen zu halten?

Eine Mehrheit dafür

Mit der im Mai 2017 vom Stimmvolk angenommenen Energiestrategie 2050 sollen die erneuerbaren Energien und die Energieeffizienz gefördert werden; sie enthält aber auch das geschickt verpackte Rahmenbewilligungsverbot für neue Atomkraftwerke. Die Stimmenden konnten so ihren Willen nicht differenzieren. Sie mussten ein Ja einlegen, wenn sie die Erneuerbaren und das Energiesparen vorantreiben wollten, auch wenn sie die Atomenergie als weiterhin nötig erachteten. Diese schlitzohrige Abstimmungsvorlage brachte das politisch gewünschte Resultat und damit den formellen, gesetzlich verlangten Atomenergieausstieg.

Wie die Abstimmungsanalyse gezeigt hat, war das Ja zur Energiestrategie 2050 primär ein Ja für Energieeffizienz und erneuerbare Energien und nicht eines gegen die Atomenergie. Das gilt auch für das im Juni 2024 noch deutlicher angenommene Stromgesetz. Die Atomenergie gewinnt, wie die Umfragen zeigen, zunehmend an Zustimmung. Und es ist daran zu erinnern, dass bisher alle Ausstiegsinitiativen abgelehnt wurden, die letzte 2016.

Unverständlich sind Behauptungen, die erneute Diskussion um die Atomenergie mindere den Druck zum Ausbau der erneuerbaren Energien. Wer solches sagt, scheut energiepolitische Auseinandersetzungen und traut der Bevölkerung nicht zu, Sinn, Nutzen und Grenzen der Erneuerbaren zu erkennen.

Atomenergie bleibt nötig

Die bestehenden AKW dürfen weiter betrieben werden, solang sie sicher sind. Das ist gut so, denn trotz Rekordzuwachs bei der Fotovoltaik bleibt die Entwicklung des Stroms aus den neuen Erneuerbaren Sonne, Wind, Biomasse und Geothermie weit hinter dem Notwendigen zurück. Im Jahr 2023 lieferten diese erst 6,8 Terawattstunden (TWh) oder 19% der im Stromgesetz für 2035 verlangten 35 TWh; um diese Vorgabe zu erreichen, müsste die jährliche Mehrerzeugung das Dreifache der des Jahres 2023 betragen.

Allein mit den erneuerbaren Energien kann die erforderliche Strommenge nicht rechtzeitig bereitgestellt werden. Fakt ist, dass die neuen Erneuerbaren im Winter 2023/24 erst 10% des Landesverbrauchs gedeckt haben, die AKW dagegen 40%. Ohne AKW wäre es um unsere Versorgung wesentlich schlechter bestellt.

Es ist Wunschdenken zu glauben, die fantasievollen gesetzlichen Vorgaben des Stromgesetzes liessen sich bis zur Jahrhundertmitte erreichen; da helfen auch Hau-Ruck-Übungen wie der Solar- und der Wind-«Express» nicht. Und selbst wenn die Vorstellungen der Energieperspektiven 2050+ des Bundes eintreffen würden, wäre erst eine ausgeglichene Jahresbilanz erreicht; es bliebe im Winter ein grosser Strom-Importbedarf. Die Stromversorgung wäre damit nicht gesichert.

Es würde mindestens zwanzig oder gar dreissig Jahre dauern, bis neue AKW gebaut wären, wird immer wieder behauptet. Damit würden sie nichts zur Lösung der Versorgungsprobleme für die nächsten fünfzehn Jahre beitragen. Diese Argumentation ist kurzsichtig, denn die Versorgungsprobleme werden noch sehr viel länger andauern. Zudem könnten AKW schneller erstellt werden, wenn der politische Wille und die Investitionsbereitschaft dafür vorhanden wären.

Die AKW Beznau, Mühleberg und Gösgen wurden in wesentlich kürzeren Fristen realisiert, von der Standortbewilligung (entspricht im Wesentlichen der heutigen Rahmenbewilligung) bis zur kommerziellen Betriebsaufnahme vergingen zwischen viereinhalb bis acht Jahre. Ausländische Beispiele zeigen, dass solche Realisierungsfristen auch heute möglich sind.

Weniger Ausbaubedarf

Der steigende Stromverbrauch soll entsprechend der geltenden Doktrin durch erneuerbare Erzeugung gedeckt werden; potenzialbedingt muss der Strom für den Mehrbedarf und den Atomenergieersatz überwiegend aus Fotovoltaik stammen. Deren nötige riesige Produktionsleistung führt zu neuen Herausforderungen an das Stromsystem: Die saisonale und tageszeitliche Speicherung, die Netzregelung und das Netz müssen massiv ausgebaut werden, um den nachts fehlenden Solarstrom und Dunkelflauten abzudecken, Sommerüberschüsse in den Winter umzulagern und grosse Leistungsschwankungen zu beherrschen. Ob es gelingen wird, diesen aufwendigen Systemausbau rechtzeitig zu realisieren, ist fraglich. Er kann aber durch die Atomenergie, die Bandenergie mit hohem Winteranteil liefert, wesentlich reduziert werden.

Dass die Atomenergie zu teuer und die Fotovoltaik längst billiger sei, stimmt nicht. Selbst wenn man hohe spezifische Investitionskosten wie beim Druckwasserreaktor im finnischen Olkiluoto annimmt und sich an den aktuellen Betriebskosten der schweizerischen AKW orientiert, sind die Gestehungskosten tiefer als bei der Fotovoltaik.

Dabei sind auch die Kosten der zielstrebig vorangetriebenen Entsorgung inbegriffen. Die Wirtschaftlichkeit der Fotovoltaik ist offensichtlich auch aus Sicht der Politik nicht gegeben; nur so lässt sich erklären, dass selbst grosse Fotovoltaikanlagen mit Subventionen von bis 60% bedacht werden. Zusätzlich sind die Kosten des erwähnten Systemausbaus einzurechnen.

Es braucht beide Quellen

Die Elektrizitätswirtschaft sei gar nicht zu Investitionen in neue AKW bereit, wird gesagt. Wenn das Rahmenbewilligungsverbot vom Tisch wäre, bräuchte es wohl viel geringere Subventionsversprechungen als bei der Fotovoltaik, um die Stromversorger für neue AKW-Projekte zu motivieren.

Unsere Stromversorgung wird im Winter noch sehr lange importabhängig und damit risikobehaftet bleiben. Deshalb kann man nur immer wieder betonen, dass – neben der Energieeffizienz – die erneuerbaren Energien und die Atomenergie nötig sind.

Neue AKW der Generation III/IIIa oder der Generation IV wären noch um Grössenordnungen sicherer als die bestehenden. Die Atomenergie ist zudem dank ihrer hohen Energiedichte nicht nur wirtschaftlich, sondern auch ökologisch vorteilhaft, ihr spezifischer Treibhausgasausstoss ist geringer als der der Fotovoltaik. Der Widerstand gegen die Atomenergie schadet also nicht nur der Versorgungssicherheit, sondern zuletzt auch dem Klima.

Dr. rer. pol. Eduard Kiener, dipl. Masching. ETH, ist ehemaliger Direktor des Bundesamtes für Energie (BFE) und Mitglied des Expertenbeirates im Energie Club Schweiz. Der Beitrag wurde zuerst in der Finanz und Wirtschaft publiziert.

Von der Standortbewilligung bis zur Betriebsaufnahme vergingen bei den AKW Beznau, Mühleberg und Gösgen nur zwischen viereinhalb bis acht Jahre. Das ist auch heute möglich.