Energieversorgung und Stromversorgung
In der Initiative des ECS «Jederzeit Strom Für alle (Blackout stoppen)» lautet die erste Forderung: «Die Stromversorgung muss jederzeit sichergestellt sein. Der Bund legt dafür die Verantwortlichkeiten fest.» Das gefällt dem Bundesrat nicht. Auch darum lehnt er die Initiative ab.
Der Bundesrat begründet die Ablehnung der Forderung wie folgt: «Weiter will die Initiative in der Bundesverfassung verankern, dass der Bund die Verantwortlichkeiten für die Stromversorgungssicherheit festlegt. Dies ist nicht notwendig. Die Bundesverfassung regelt bereits heute, dass sich Bund und Kantone im Rahmen ihrer Zuständigkeiten für die Energieversorgung einsetzen.»
Er suggeriert damit, dass unter den Begriff «Energie» auch der Strom fällt. Das ist richtig, aber das heisst nicht, dass Energieversorgung und Stromversorgung das Gleiche ist.
Die Versorgung mit nicht elektrischer Energie ist relativ einfach sicher zu stellen. Es braucht dazu Lieferverträge und Lagerkapazität. In der Schweiz ist allerdings nicht einmal diese einfache Aufgabe gelöst: Wir haben keine Gasspeicher. Die vom Bund vorgeschriebene Notreserve liegt in Form von Heizöl extraleicht vor!
Das Besondere an der Stromversorgung ist, dass man elektrische Energie als solche nicht lagern kann. Man muss sie zuerst in eine andere Energieform umwandeln und das ist teuer und führt zwangsläufig zu Verlusten.
Das zweite Problem ist das Stromnetz. Das ist ein unvorstellbar kompliziertes System, das europaweit in jedem Moment gleichviel Energie aus vielen Kraftwerken beziehen muss, wie es an die vielen Verbraucher liefert. Das Stromnetz in der Schweiz ist physikalisch ein Netz, das an 41 Stellen mit dem europäischen Netz verbunden ist. Das Höchst- und Hochspannungsnetz gehört Swissgrid. Axpo besitzt noch einen Teil des Mittelspannungsnetzes. Das Verteilnetz gehört unterschiedlichen Elektrizitätsunternehmen. Es sind deren über 600. Es ist zwingend, dass sie fehlerlos zusammenarbeiten. Zur Zeit bürdet das Stromversorgungs-Gesetz den Verteilwerken – das sind die lokalen, oft gemeindeeigenen Elektrizitätswerke – die Verantwortung für die Versorgungssicherheit auf. Aber wie können sie diese wahrnehmen? Viele haben nicht einmal eigene Kraftwerke. Sie sind darauf angewiesen, dass ihnen jemand Strom liefert. Mit diesem "Jemand" haben sie einen Liefervertrag. Seit 2009 gilt eine teilweise Marktöffnung für Kunden mit einem Verbrauch über 100'000 kWh. Sie können den Stromlieferanten frei wählen, sind dann aber an ihn gebunden.
Dieser Vertrag ist allerdings eine Farce. Der Strom fliesst physikalisch den Weg des geringsten Widerstands. Er kann sich nicht an Verträge halten. Letzten Endes bestimmt der Vertag bloss, wer die Stromrechnung an das EW Seldwyla schreiben darf.
In dieser Situation kann es keine Versorgungssicherheit geben. Niemand ist dafür verantwortlich, dass jederzeit genügend Liefer-Kapazität zur Verfügung steht. Niemand fühlte sich in den letzten 20 Jahren dazu verpflichtet, Leistung – also Kraftwerke – zuzubauen. Man hat sich darauf verlassen, dass man fehlende Leistung aus dem europäischen Netz beziehen kann. Dafür gibt es wenige langfristige, verbindliche Lieferverträge mit französischen Kernkraftwerken. Doch ob unsere Nachbarländer in einem Notfall, also einer europaweiten Strommangellage die Schweiz noch beliefern würden, ist offen. Corona hat gezeigt, im Notfall ist sich jeder selbst der Nächste. In dieser Situation wollen sich «Bund und Kantone im Rahmen ihrer Zuständigkeit für die Energieversorgung einsetzen». Sich einsetzen heisst nicht Verantwortung übernehmen und eine gemeinsame Verantwortung heisst keine Verantwortung.
Darum hält das Initiativ-Komitee an der Forderung fest, dass es in unserem Land eine Instanz geben muss, die für die sichere Stromversorgung verantwortlich ist. Diese verantwortliche Stelle muss auch die Kompetenz erhalten, im Rahmen der bestehenden Gesetze inländische Produktionskapazitäten zuzubauen.