Der Plan von Regierungsrat Neukom
Der Zürcher Baudirektor Martin Neukom hat die Zukunft der Stromversorgung angeschaut und dazu ein Video veröffentlicht. Wir haben sein Video unter die Lupe genommen.
Nicht überraschend kommt der grüne Zürcher Regierungsrat Martin Neukom in seinem Video zum Schluss, dass wir vor allem im Winter ein Problem haben, erst recht, wenn dereinst die Kernenergie wegfällt, der Verkehr elektrisch rollt und überall mit Wärmepumpen geheizt wird. Dann wäre der Strombedarf nach Neukom bei 86,2 Terawattstunden (TWh) im Jahr. Der Jahresverlauf von Produktion und Verbrauch sähe denn so aus:
Ohne zusätzliche Produktion müssten wir mehr als die Hälfte des Strombedarfs importieren. Das wollen wir nicht und das können wir auch nicht. Wir müssen also mehr produzieren. Das können wir mit Solaranlagen auf den Dächern. Neukom sieht da ein Potential von 40 TWh. Das reicht allerdings bei Weitem nicht. Vorallem im Winter klafft eine grosse Lücke. Das sieht auch Neukom und er weiss, wie man die Lücke stopft: Mit Strom aus Biomasse, Geothermie, Wind und Solaranlagen in den Bergen und an Fassaden. Ausserdem mit Speichern eines Teils des sommerlichen Überflusses. Das sieht dann so aus:
Problem gelöst. Wirklich? Wir hätten da ein paar Fragen:
- Die Sonne soll auf Dächern 40 TWh im Jahr liefern. Was heisst das? Um in der Schweiz pro Jahr 40 TWh Energie zu liefern braucht es 160 Quadratkilometer Solarzellen. Gibt es so viele Dächer? Und was kostet das? Es kostet 80 Milliarden Franken. Ziemlich teuer, vor allem, wenn man bedenkt, dass von den 40 TWh deren 14 nutz- und wertlos sind, weil sie dann produziert werden, wenn man sie nicht braucht.
- Damit ist auch bewiesen, dass ein Obligatorium für Solardächer nichts bringt: Es löst das Winterproblem nicht, aber es vergrössert das Sommerproblem.
- Neukom rechnet selber vor, dass der benötigte Zuschuss an Windenergie den Bau von 900 grossen Windturbinen erfordert. Wo sollen die stehen?
- Ähnlich die alpine Photovoltaik: Basierend auf den Zahlen der IWB zur Anlage Käserstatt auf dem Hasliberg, wäre für die Produktion von jährlich 10 TWh die Verschandelung von 100 Quadratkilometer Alpwiesen nötig.
- Neukom berechnet den Strombedarf von Elektroautos und Wärmepumpen. Was ist mit den übrigen fossilen Energiequellen? Wie heizt man den Prime Tower und andere Grossbauten? Wie ersetzt man den Bedarf an fossilen Brennstoffen der Industrie und des Gewerbes? Was treibt Panzer und Kampfflugzeuge an? Überhaupt: Flugzeuge! Den Luftverkehr kann man nicht elektrifizieren. Mit den Massnahmen, die Martin Neukom vorschlägt sind wir noch weit, weit weg von Netto Null.
- Neukoms Zahlen sind wochenweise aufgeschlüsselt. Das genügt nicht. Was hilft es, wenn man Montag bis Freitag genug Strom hat, aber Samstag und Sonntag kein Wind weht und der Himmel bedeckt ist? Ja, dann haben wir die Wasserkraft, aber ohne Kernkraftwerke sind die Stauseen um Weihnacht leer. Sie enthalten gerade mal 8 TWh.
- Apropos Kernkraft: Mit den 80 Milliarden, die wir für Solarzellen nach China schicken, könnten wir zehn überteuerte Kernkraftwerke bauen und alle Probleme wären gelöst – insbesondere das Winterproblem.
Aber das grösste Problem, das Neukom verschweigt, betrifft das Stromnetz. Gemäss Stromstatistik des BFE ist die grösste Leistung, die das heute bestehende Netz übertragen muss, gut 8 GW und die grösste Energiemenge knapp 5 TWh pro Monat. In Zukunft wird der Bedarf an elektrischer Energie mindestens doppelt so gross sein. Das heisst, die Kapazität des Übertragungsnetzes muss nahezu verdoppelt werden. Nahezu, weil ein grösserer Teil der Leistung dezentral (auf Dächern) produziert werden wird und somit über kürzere Strecken transportiert werden muss.
Das führt allerdings zu einem weiteren Problem: Bisher floss der Strom ausschliesslich von der höchsten Spannungsebene über drei Transformationsstufen zu den Konsumenten auf der tiefsten Spannungsebene, des Verteilnetzes. Jetzt werden die Konsumenten zu Prosumern, das heisst, manchmal benötigen sie Strom und manchmal liefern sie Strom. Das wird kompliziert. Die Elektrizitätswerke müssen in der Lage sein, diesen Gegenverkehr zu steuern. Damit wird es zwingend notwendig, dass sie in Verbrauch und Produktion eines jeden Haushalts eingreifen können. Was es dazu braucht, nennt man ein «Smart Grid» – also ein schlaues Netz.
Das heisst, das Stromnetz muss nicht nur aus- sondern auch umgebaut werden. Die Branche versucht seit Jahren abzuschätzen, wieviel das kosten wird. Wir wissen es noch immer nicht. Es dürften dutzende, wenn nicht hunderte von Milliarden sein.
Warum bekommen wir nie eine ehrliche, faktenbasierte Berechnung einer Stromversorgung gemäss Netto-Null zu sehen? Vielleicht weil es sie nicht gibt? Warum gibt es sie nicht? Weil sie zeigen würde, dass Netto-Null ohne Atom nicht zu haben ist.