Fehler nicht wiederholen – Weichen richtig stellen
Die Weichen für die Stromversorgung unseres Landes in den nächsten Jahrzehnten werden jetzt gestellt. Ein Blick ins Ausland lohnt sich, um die Schweiz nicht auf Abwege zu führen.
Von Ulrich Fischer
In jüngster Vergangenheit, aber besonders nach dem Ausbruch des Überfalls der Russen auf die Ukraine macht sich in der Schweiz die Sorge um eine genügende Stromversorgung breit. Weil der Import von Öl und Gas aus Russland stark reduziert wurde, entstand auch in unseren Nachbarländern bezüglich Energieversorgung eine Mangellage, die befürchten lässt, dass es für die Schweiz schwierig werden könnte, ihren Strombedarf ergänzend zur Eigenproduktion mit Importen sicherzustellen.
In diese unerfreuliche Situation hätte sich unser Land nicht manövriert, wenn es die Weichen in den Jahren 2000 bis 2017 anders gestellt hätte. Nach dem Kaiseraugst-Debakel 1985/89 herrschte für ein paar Jahre Ruhe, zumal in Gösgen und Leibstadt gewissermassen im Windschatten von Kaiseraugst zwei zusätzliche Kernkraftwerke realisiert werden konnten, welche den Strombedarf vorläufig sicherstellten. Bald erkannte man indessen, dass infolge Bedarfszunahme die Errichtung weiterer Produktionsanlagen unerlässlich sei, wollte man sich nicht noch vermehrt von Stromimporten abhängig machen. Im Vordergrund stand wie in den meisten europäischen Ländern die weitere Nutzung der Kernenergie.
2011 aber geschah der Unfall von Fukushima. Eine verheerende Sturmflut verwüstete die Landschaft, forderte zahlreiche Menschenleben und drang auch in das dortige Kernkraftwerk ein, das durch eine zu wenig hohe Mauer nur ungenügend gegen die Wassermassen geschützt war. Da bei einem Block die Kühlung nicht mehr gewährleistet werden konnte, kam es zu einer Kernschmelze.
Dieses Ereignis hatte für die schweizerische Energiepolitik weitreichende Folgen. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel machte hinsichtlich Kernenergie eine Kehrtwende und erklärte diese für Deutschland künftig als nicht mehr verantwortbar. Der damals mehrheitlich von Frauen dominierte Bundesrat tat es unter der Ägide von Energieministerin Doris Leuthard der deutschen Bundeskanzlerin gleich und verabschiedete sich von einem Tag auf den anderen von der bislang für die Stromversorgung der Schweiz als unerlässlich erachteten Kernenergie. Im Rahmen der Beratungen über die Energiestrategie 2050 wurde auch eine Ergänzung des Kernenergiegesetzes eingefügt, welche die Erteilung von Rahmenbewilligungen verbot, was in der Volksabstimmung 2017 bestätigt wurde. Dem Volk war weisgemacht worden, dass der Strombedarf unseres Landes bei sparsamem Gebrauch, durch einen massiven Zubau von Sonnen- und Windproduktionsanlagen sowie Importen auch ohne Kernenergie problemlos gedeckt werden könne.
Allmählich dringt nun indessen die Erkenntnis durch, dass diese Politik zu schmerzlichen Engpässen in der Stromversorgung führt. Die wegen des Ukrainekriegs massive Reduktion der Energiebezüge der EU-Staaten aus Russland blieb auch bezüglich der schweizerischen Stromimporte aus den Nachbarländern hinsichtlich Verfügbarkeit und Preis nicht ohne Folge und wird sich künftig wohl noch akzentuieren. Als eine der Konsequenzen, die zu ziehen sich der Bund genötigt fühlte, ist dessen Beteiligung an einem Gas/Ölkraftwerk in Birr. Der Verzicht auf die Nutzung der Kernenergie zeigt, dass wir statt unserer bislang praktisch CO2-freien Stromversorgung sogar gezwungen sind, unseren Bedarf durch fossil betriebene Produktionsanlagen zu sichern, womit alle schönen Vorsätze hinsichtlich CO2-Reduktion zu blossen Papiertigern degradiert werden. Bei weiteren Verschärfungen der Versorgungslage dürfte dies wohl kaum der letzte Sündenfall gewesen sein. Wären damals zusätzlich zu Gösgen und Leibstadt noch ein bis zwei weitere Kernkraftwerke gebaut worden, würde sich diese Problematik heute nicht stellen, unsere Stromversorgung wäre trotz der Turbulenzen im Ausland sichergestellt. Die Stimmen, welche dies forderten, blieben leider ungehört.
Heute werden die Weichen für die Stromversorgung in den nächsten Jahrzehnten gestellt. Es ist alles daran zu setzen, dass die in der Vergangenheit begangenen Fehler nicht wiederholt werden. Kurzfristig erscheint es als durchaus sinnvoll, neben der hydraulischen Energie und dem möglichst langen Betrieb der bestehenden Kernkraftwerke schwergewichtig auf Fotovoltaik zu setzen. Weniger aussichtsreich, um einen wesentlichen Beitrag zu leisten, ist in der Schweiz die Windenergie, da die Windverhältnisse ungünstig sind und der Widerstand gegen die riesigen Bauten wegen Lärmimmissionen und Beeinträchtigung der Landschaft gross ist. Trotz Sparanstrengungen und stark forciertem Ausbau der alternativen Energiequellen können diese jedoch nur ungenügend zur Versorgung beitragen, sodass wir infolge der stetigen Verbrauchszunahme noch vermehrt auf Importe angewiesen sein werden, von Frankreich vor allem aus Kernenergie, von Deutschland aus Kohle- und Ölkraftwerken. Um eine gefährliche zusätzliche Auslandabhängigkeit zu vermeiden, muss die eigene Stromproduktion gesteigert werden, was, sofern man auf fossile Quellen verzichten will, nur mit Kernenergie möglich ist.
Die meisten europäischen Länder mit Ausnahme von Deutschland und Österreich setzen auf Kernenergie. Um diese Option auch in der Schweiz wieder in Betracht ziehen zu können, wie das gemäss einer repräsentativen Umfrage von der Bevölkerungsmehrheit begrüsst wird, muss zunächst das Verbot von 2017 aufgehoben werden. Erst dann kann der künftig zweckmässigste Reaktortyp bezüglich Sicherheit, Grösse, Verfügbarkeit und Kosten bestimmt und das Bewilligungsverfahren für ein konkretes Projekt eingeleitet werden. Deshalb ist es dringlich, diesen ersten Schritt zur künftigen Sicherung unserer Stromversorgung nun ohne Verzug zu tun.
Ulrich Fischer (FDP.Die Liberalen) ist alt Nationalrat, Mitglied des Energie Club Schweiz und im Komitee der Volksinitiative "Jederzeit Strom für alle (Blackout stoppen)". Der Beitrag ist in gekürzter Erstfassung in der Aargauer Zeitung erschienen.