Vorbild Deutschland?
Noch immer wird die deutsche Energiewende als Vorbild für die Schweizer Energiestrategie ins Feld geführt. Aber funktioniert die deutsche Energiewende überhaupt? Die Antwort lautet: Ohne Gaskraftwerke ganz sicher nicht.
Von Simon Aegerter
Die Energiewende in Deutschland funktioniert! Jedenfalls verkünden das die meisten Medien. Wie klar die Situation ist, zeigte sich in der Arena des SRF vom 9. Dezember. Nationalrat Thomas Aeschi (SVP) erinnerte daran, dass Deutschland 450 Milliarden zur Förderung der Erneuerbaren ausgegeben habe und trotzdem immer noch zu 45% auf Kohlestrom angewiesen sei. Nationalrat Roger Nordmann (SP) versuchte ihn zu unterbrechen und sagte nein, das sei falsch. 50% des deutschen Stroms sei heute erneuerbar.
Was stimmt jetzt? Das lässt sich leicht überprüfen. Das deutsche «Statistische Bundesamt» publiziert folgende Zahlen: Braun- und Steinkohle trugen 2021 zu 28,1% zur Stromerzeugung bei, die Erneuerbaren 39,9%.
Beide Nationalräte liegen also daneben. Aber das spielt eigentlich gar keine Rolle. Für die Versorgungssicherheit ist nicht die Jahresbilanz ausschlaggebend, sondern die minutengenaue Situation. Da sieht es in Deutschland zeitweise düster aus. Und es kommt sogar vor, dass beide Nationalräte eine Zeitlang recht haben.
Mit dem vielen Flatterstrom kommt es immer wieder zu extremen Situationen. Das eine Extrem ist die Dunkelflaute. Da tragen sowohl Sonne wie Wind nichts oder nahezu nichts zur Stromproduktion bei. Ein Beispiel konnte man am 29./30. November 2022 auf Electricitymaps beobachten.
Damals stammten 44% des Stroms aus Kohle (ocker) und 24% aus Gas (rot), während Wasserkraft (blau), Sonne (orange) und Wind (türkis) je ein paar % erreichten, total etwa 8%. Der dunkelgrüne Balken unten steht für Biomasse, also Holzschnitzel-Kraftwerke. Wenn man die trotz aller Vorbehalte bezüglich Nachhaltigkeit dazuzählt, bringen es die Erneuerbaren auf grade mal 16%. An diesem Tag hatte NR Aeschi Recht. (Die farbigen Streifen oberhalb Gas sind Importe.) Das andere Extrem ist der sonnige Sturmwind. Auch dazu gibt es viele Beispiele. Hier ist eines vom 5. Juli 2020.
Da liefen die Gas- und Kohlekraftwerke tagsüber nur im Warmhaltebetrieb, und die Erneuerbaren lieferten über 70%. Dafür rutschte der Strompreis in den Keller – er betrug zeitweise minus 6 Cent/kWh. An diesem Tag hätte sogar Roger Nordmann untertrieben.
Die übermässige Stromproduktion ist nicht ein fundamentales Problem. Es gibt Pläne, den überschüssigen Strom zu verwenden, um damit grünen Wasserstoff zu produzieren.
Dagegen ist die Dunkelflaute – und die ist häufiger als gemeinhin angenommen– ein echter Spielverderber. Die Dunkelflauten sind der Grund, warum es niemals möglich sein wird, ein Industrieland mittels erneuerbarer Energiequellen zuverlässig mit Strom zu versorgen. Bei Dunkelflaute muss irgendeine andere Quelle einspringen. Was kann das sein? In der Schweiz ist es die Wasserkraft – genauer: Die Wasserkraft aus Speicherseen. Sie können bis zu einem gewissen Grad aushelfen. In Deutschland sind es, wir Figura zeigt, Kohle und Erdgas. Nun will Deutschland in absehbarer Zeit von der Kohle wegkommen. Dann steht nur das Gas zur Verfügung. Woher soll es kommen? Woher auch immer – es geht nicht ohne.
Darum hat sich die deutsche Regierung bei der EU derart stark gemacht, dass Gas als «nachhaltig» zu bezeichnen sei. Sie hat dafür sogar in Kauf genommen, dass die Kernenergie den gleichen Status erhält. Für die rot-grüne Regierung eine ganz dicke Kröte! Sie haben sie geschluckt.
Dr. Simon Aegerter studierte Physik, Mathematik und Astronomie. Er ist ehemaliger Direktor des Technorama und Gründer der cogito foundation zur Förderung der Verständigung zwischen den Naturwissenschaften und den Geisteswissenschaften. Simon Aegerter ist Mitglied im Energie Club Schweiz.