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Die energiepolitische Aufbruchstimmung ist erfreulich, doch führt sie zu guten Resultaten?

Die Vorstellung, dass innerhalb von wenigen Jahrzehnten ein totaler Umbau möglich sei, ist vollkommen unrealistisch.

Von Tobias Straumann

Seit eine Strommangellage im Winter droht, ist ein grosser Ruck durch die Schweiz gegangen. Es herrscht Aufbruchstimmung. Die grosse Investitionsflaute der letzten Jahrzehnte scheint überwunden.

Allerdings ist noch nicht allen klar, wie lang und steil der Weg sein wird. Viele sind der Meinung, es sei nur eine Frage des Willens, dass die schweizerische Stromproduktion durch Wasser-, Wind- und Solarkraftwerke abgedeckt werde. Auch die Erreichung des Netto-Null-Ziels betrachten sie als rein politische Frage. Fragt man dann aber nach, wie das konkret möglich sein soll, wird oft klar, wie wenig Wissen vorhanden ist.

So reagieren viele ganz überrascht, wenn man ihnen erzählt, dass die schweizerische Stromproduktion seit Jahrzehnten kaum CO2 ausstösst – dank Wasserkraft (etwa zwei Drittel) und Atomkraft (etwa ein Drittel). Ihnen ist so oft erzählt worden, dass die Schweiz klimapolitisch viel zu wenig mache, dass sie es glauben, ohne einen Blick in die Statistik zu werfen.

Fossile Energien dominieren

Deutschland wird als grosses Vorbild verkauft. Dabei ist das Nachbarland weit weg von einer CO2-freien Stromproduktion. Nur knapp die Hälfte kommt von erneuerbaren Energien. Und weil die Merkel-Regierung ein Atomkraftwerk nach dem anderen abgestellt und sich in die Abhängigkeit des russischen Erdgases begeben hat, ist die Einspeisung aus Kohlestrom im ersten Halbjahr 2022 um 17% gegenüber dem ersten Halbjahr 2021 gestiegen.

Viel Verwirrung besteht auch beim schweizerischen Endenergieverbrauch. Nur wenige wissen, wie gross der Anteil der verschiedenen Energieträger ist. Diese Zahl ist aber entscheidend, wenn es um die Reduktion des CO2-Ausstosses geht.

Der Strom aus Wasser- und Atomkraft macht nur 26% des Endenergieverbrauchs aus. Dagegen ist der Anteil der fossilen Energien mehr als doppelt so hoch. Er beträgt 58% und setzt sich zusammen aus Erdöltreibstoffen (29%), Heizöl (14%) und Erdgas (15%).

Wenn uns also von der Politik versichert wird, dass eines Tages die Atomkraft durch Wind- und Solarkraftwerke ersetzt werden wird, dann ist in Bezug auf die Reduktion des CO2-Ausstosses nichts erreicht. Der Beitrag von Wind- und Solarstrom zum schweizerischen Endenergieverbrauch beträgt heute etwa 2%. Die Vorstellung, dass innerhalb von wenigen Jahrzehnten ein kompletter Umbau möglich sei, ist vollkommen unrealistisch.

Weil aber viele Leute keine Ahnung von den Grössenverhältnissen haben, glauben sie an die schönen Versprechungen – bis sie dann eines Tages von den Behörden darüber informiert werden, dass die Prognosen zu optimistisch gewesen seien.

Mangelhaft informiert wird die schweizerische Öffentlichkeit auch über die Klimapolitik Chinas. Das grösste Land der Welt sei viel weiter als der Westen, heisst es allenthalben. Die Elektromobilität schreite mit grossen Schritten voran. Der Strom kommt aber zu etwa 60% aus Kohlekraftwerken, während Wind- und Solarkraftwerke weniger als 10% ausmachen.

China baut neue Kohlekraftwerke

Kohle spielt auch für den gesamten Energieverbrauch Chinas eine entscheidende Rolle. Ihr Anteil beträgt etwa 50%. Daran wird sich auch in der näheren Zukunft kaum etwas ändern. China hat nämlich vor wenigen Wochen bekannt gegeben, dass es den Bau von weiteren Kohlekraftwerken plant. China ist heute für 30% der globalen Treibhausgasemissionen verantwortlich – etwa gleich viel wie die EU und die USA zusammen.

Pro Kopf ist der CO2-Ausstoss Chinas erst halb so gross wie im Westen, aber der Abstand wird immer kleiner. Gleichzeitig versicherte der chinesische Klimabeauftragte die Weltöffentlichkeit an der Klimakonferenz COP27 in Sharm al-Sheikh, man unterstütze das Ziel von maximal 1,5 Grad Temperaturerhöhung. Offenbar wird diese Aussage im Westen für bare Münze genommen.

Schliesslich ist vielen nicht klar, wie energieintensiv die moderne Weltwirtschaft geworden ist. In den letzten fünfzig Jahren hat sich der Weltenergieverbrauch verdreifacht, und weil der Drang nach mehr Wachstum auf allen Kontinenten nach wie vor ungebrochen ist, wird dieser Trend nach oben weiter anhalten.

Der Anteil der Wasser-, Wind- und Solarkraftwerke an der globalen Energieproduktion macht nur etwa 5% aus – wie die Atomkraft. Weitere 10% entfallen auf Biotreibstoffe und Abfall. 80% stammen von fossilen Brennstoffen.

Auch diese Zahlen sollten in jeder Diskussion über die schweizerische Energiepolitik berücksichtigt werden. Denn die Aufbruchstimmung wird nur zu guten Resultaten führen, wenn sie mit Ehrlichkeit und Sachlichkeit verbunden ist. Nach wie vor gilt der Spruch: «Man kann das ganze Volk eine Zeit lang täuschen, und man kann einen Teil des Volkes die ganze Zeit täuschen, aber man kann nicht das gesamte Volk die ganze Zeit täuschen.»

Prof. Dr. Tobias Straumann ist Professor für Wirtschaftsgeschichte an der Universität Zürich. Der Beitrag ist in Erstfassung in der NZZ am Sonntag erschienen.

Weder in Bezug auf Stromverbrauch noch in Bezug auf Emissionen schenkt die Schweizer Politik ihren Bürgern reinen Wein ein. Im Bild: Das chinesische Kohlekraftwerk Xuzhou (Foto: Wiki / Vmenkov).