Verlängerung erwünscht
Die Bevölkerung in Deutschland weiss, was es geschlagen hat. Sie will die Laufzeiten für Kernkraftwerke verlängern. Es bleibt zu hoffen, dass es die Regierung auch merkt.
70 Prozent der Deutschen sprechen sich gemäss einer aktuellen repräsentativen Umfrage für eine Verlängerung der Laufzeiten für Kernkraftwerke in Deutschland aus. Im Nachbarland sind nur mehr drei Werke am Netz doch diese sollen Ende Jahr auch abgestellt werden. Angesichts der aktuellen Ereignisse kommt dieser Plan bei der Bevölkerung offenbar gar nicht gut an. Kein Wunder: Die Deutsche Energiewende, in deren Zuge der Atomausstieg wurde, funktioniert mehr schlecht als recht. Zwar hat das Land mit über 20 Milliarden Euro pro Jahr massiv Wind- und Solarkapazitäten zugebaut. Doch schon länger ist klar, dass dies keine Versorgungssicherheit bringt. Im Zuge des Umbaus des Energiesystems müssen Kohlekraftwerke länger am Netz bleiben und Gaskraftwerke eine zentrale Rolle einnehmen. Das zeigt, dass Erneuerbare ohne Back-up von Bandstrom nicht funktionieren.
Weg mit der Kernkraft und auch die Kohle soll möglichst bald aus dem Energiemix Deutschlands verschwinden. Somit bleibt Gas als Stromlieferant, der vor allem in Zeiten von Dunkelflaute dafür sorgen soll, dass in Deutschland die Lichter nicht ausgehen. Dumm nur, dass der Ukraine-Krieg nun brutal vor Augen führt, was eigentlich schon immer klar war: Die Abhängigkeit von Russlands Erdgas ist und bleibt ein kapitaler Fehler. Nordstream2, welche ein integraler Teil der deutschen Energiewende hätte werden sollen, musste aufgrund der Aggression Putins aufgegeben werden. Billiges Gas aus Russland dürfte damit Geschichte sein. Es erstaunt daher nicht, dass grosse Teile der Deutschen die Vorzüge der Kernkraft wieder entdecken.: Sie stossen fast kein CO2 aus. Nüchtern betrachtet ist klar: Deutschland steht vor der Wahl entweder vermehrt auf Kohlestrom zu setzen – mit den entsprechend hohen CO2-Emmissionen – oder die Kernkraftwerke weiter laufen zu lassen. Wobei auch bei der Kohle eine grosse Abhängigkeit von Russland besteht. Wie es scheint, ist für viele in Deutschland klar, was die bessere Option ist. Spannend: selbst 32 Prozent der Grünen hat bei der Umfrage für eine Verlängerung der Kernkraftwerke votiert.
Trotzdem scheint man es in die Regierung anders zu sehen. Gemäss verschiedener Aussagen soll an den Ausstiegsplänen festgehalten werden. Der grüne Minister Robert Habeck wollte die Kernkraft nicht «ideologisch abwehren». Doch glaubt er, dass es sich nicht lohnen würde, die Kernkraftwerke weiter zu betreiben und Kohlekraftwerke sinnvoller als AKW seien. Die Industrie widerspricht. Die Werke könnten noch immer sicher und vor allem rentabel betrieben werden.
Dass selbst die deutsche Regierung lernfähig ist, zeigte sich dieser Tage bei der Verteidigungspolitik. Nach Jahrzehnten des Abrüstens musste man schnell dazulernen: 100 Milliarden Euro zusätzlich sollen in die Verteidigung fliessen. Ein Paradigma-Wechsel sondergleichen. Es bleibt zu hoffen, dass es auch in der Energiepolitik zu einem Umdenken kommt. Mit der Realität kann man nicht verhandeln. Dies wird sich auch noch bei der deutschen Energiepolitik zeigen.