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FDP-Frauen gegen Kernenergie – aber nicht alle

Die FDP-Basis hatte sich vor den Wahlen vom Herbst 2019 mehrheitlich für die Kernenergie ausgesprochen. Die Parteiführung hatte dies damals unter den Teppich gekehrt und erhielt die Quittung.

In der FDP wütet innerparteilich wieder der energie- und klimapolitische Spaltpilz – wie schon bei den Referenden über das Energiegesetz (Mai 2017) und über das CO2-Gesetz (Juni 2021). Bei beiden Referenden hatte die Parteileitung die Ja-Parole beschlossen und so die Abstimmung zur Konstellation alle gegen die SVP gemacht. In keiner der beiden Vorlagen folgte die Parteibasis der offiziellen Parole. Gemäss Nachanalyse stimmten 53 Prozent der FDP-Sympathisanten gegen das Energiegesetz. Beim CO2-Gesetz waren es sogar 63 Prozent.

Es sieht ganz so aus, als sorge sich die FDP-Führung vor allem darum, Wähler an die Grünliberalen zu verlieren. Zum grünen Anstrich der GLP trägt die geradezu fundamentalistisch anmutende Ablehnung der Kernenergie wesentlich bei.

Resolution der FDP-Spitze

Nun liegt eine Resolution der FDP-Spitze zuhanden der kommenden Delegiertenversammlung vom 12. Februar auf dem Tisch. Diese verlangt, das Verbot von Kernkraftwerken im Anhang des Energiegesetzes aufzuheben. Dieses Ansinnen rief umgehend die FDP-Frauen auf den Plan. Der «NZZ am Sonntag» war zu entnehmen, Susanne Vincenz-Stauffacher, Präsidentin der FDP-Frauen, habe an diesem Vorschlag kritisiert, dass man mit dem Ja zu neuen AKW ein irreführendes Signal sende – die falsche Botschaft, die FDP glaube, man könne mit dem Bau neuer AKW die drohende Stromlücke abwenden. Die Aufhebung des Verbots torpediere zudem die Anstrengungen für den Ausbau der erneuerbaren Energien.

Inzwischen hat sich die Freiburger Ständerätin und FDP-Vizepräsidentin Johanna Gapany, die zur jungen Generation von FDP-Politikerinnen gehört, in Interviews mit einer glasklaren Gegenmeinung gemeldet. Sie stellte den wichtigsten Punkt dieser Debatte unmissverständlich klar: Erneuerbare Energien und Kernenergie stehen nicht in Konkurrenz zueinander, sondern sind komplementär. Mit einer Aufhebung des AKW-Verbots werde deshalb der Ausbau der erneuerbaren Energien nicht gebremst.

Gapany verwies auch auf die selbstverständliche Tatsache, dass man über das Thema auf der Grundlage von AKW der neuen Generation diskutieren müsse. Weil der Stromverbrauch steigen werde, brauche es neue Antworten. Und schliesslich machte die Freiburger Ständerätin noch eine weitere Aussage, die spätestens seit dem Scheitern des Rahmenabkommens mit der EU als Binsenwahrheit zu gelten hat: Einfach Strom aus der EU zu importieren, um die Produktionslücke zu schliessen, sei keine Option.

Natürlich liegt Gapany mit ihrer Position nicht auf der offiziellen Linie des Energiegesetzes, die nach wie vor unsere Politik in die engen Schranken der damaligen illusionären Annahmen und Versprechungen zwängt. Doch scheint die Ständerätin, vielleicht ohne es zu wissen, einem Motto des berühmten britischen Ökonomen John Maynard Keynes (1883–1946) zu folgen, der einmal bemerkte: «Wenn sich die Fakten ändern, ändere ich meine Meinung.»

Stimmung an der Basis

Und wenn wir schon am Zitieren sind, passt an dieser Stelle zuhanden der FDP-Delegiertenversammlung noch eine weitere Pointe. Von Charles-Maurice de Talleyrand (1754–1838), dem französischen Staatsmann und Diplomaten, berühmt als Grossmeister des oft leicht zynischen Bonmots, stammt das Aperçu «Opposition ist die Kunst, so geschickt dagegen zu sein, dass man später dafür sein kann».

Die FDP-Delegierten mögen sich auch einfach an die sachgerechten Einsichten der Freiburger Ständerätin Gapany halten, ohne auf Geistesblitze berühmter Verstorbener zurückzugreifen. Es wäre bedauerlich, wenn die FDP-Delegierten erneut die Stimmung in der FDP-Basis missachteten. Diese hatte sich in der Mitgliederbefragung vor den Wahlen vom Herbst 2019 mehrheitlich für die Kernenergie ausgesprochen. Die Parteiführung hatte dies damals unter den Teppich gekehrt und erhielt die Quittung bei den eingangs erwähnten Referenden. Die Zeichen der Zeit erkennt man durch den unbefangenen Blick in die weite Welt. Dort gelten die Befürworter der Kernenergie längst nicht mehr als die Ewiggestrigen.

Der Beitrag stammt von Hans Rentsch. Er ist erstmals in der NZZ als Gastkommentar am 28. Januar 2022 erschienen. Hans Rentsch ist Ökonom, Wirtschaftspublizist und Autor von «Wie viel Markt verträgt die Schweiz?», NZZ Libro (2017).

"Es wäre bedauerlich, wenn die FDP-Delegierten erneut die Stimmung in der FDP-Basis missachteten", schreibt Hans Rentsch in der NZZ.